Zwanglose Hundeerziehung

Zwanglose Hundeerziehung

„Wünschenswert“ oder „Nicht umsetzbar“?

Dr. Barbara Schöning sagt

Das Dilemma beginnt mit der Definition von Gewalt. Was ist überhaupt Gewalt? Die Frage hat schon ganz andere Köpfe rauchen lassen im „Vierländereck“ zwischen Ethologie, Psychologie, Soziologie und Philosophie. Bei Wikipedia findet man diese Aussage: „Unter den Begriff „Gewalt“ fallen Handlungen, Vorgänge und Szenarien, in denen bzw. durch die auf Menschen oder Tiere beeinflussend, verändernd und/oder schädigend eingewirkt wird. Mein Hund wird z.B. beim Anblick eines ihm bedrohliche erscheinenden Menschen oder anderen Hundes ängstlich und ev. stark erregt und sein spontanes Verhalten wäre „Schnappen“. Wenn ich meinem Hund jetzt ein Alternativverhalten wie „entspannt neben mir gehen“ beim Anblick eines bedrohlichen anderen Hundes beibringe, wirke ich ja verändernd und beeinflussend auf ihn ein. Übe ich damit schon pauschal Gewalt aus? Zu „Zwang“ findet man ähnliche Definitionen: „allgemein eine Beeinflussung der Entscheidung und Handlung“; aber auch:  „Zustand physischer und psychischer Not“, „unzulässige Gewaltanwendung oder Drohung“.

 

Wenn man etwas tiefer in die Literatur eintaucht, findet man engere Definitionen: Gewalt ist die „zielgerichtete physische und/oder psychische Schädigung eines Individuums, bei der dessen „Wille“ missachtet und/oder gebrochen wird. Eine physische Schädigung ist sicher nicht nötig um das Alternativverhalten „Gehen neben mir“ im Gegensatz zum „Schnappen“ zu erreichen. Aber was ist mit der Psyche? Ist mein Hund unglücklich – leidet er psychisch - wenn er sich nicht aktiv durch Schnappen verteidigen kann? Habe ich seinen „Willen“ missachtet? Die spontane Verhaltensäußerung „Schnappen“ darf ich ja getrost als „Willensäußerung“ interpretieren – und darauf habe ich verändernd eingewirkt.

Vielleicht ist der Begriff „Gewalt“ im Bereich Hundetraining/-erziehung auch einfach deplatziert, weil viel zu wenig klar definiert. 

Tatsache 1: Hunde sind Säugetiere und nach dem Analogieschluss (und den Resultaten diverser Forschungsarbeiten) muss ich davon ausgehen, dass sie Bedürfnisse und Emotionen haben, die meinen nicht unähnlich sind. Bei den Emotionen sind es auf alle Fälle die großen Gegenspieler „Freude“ und „Angst“ - mit allen Variationen wie Unsicherheit, Panik, Begeisterung, Ekstase, Frustration, Trauer, Wut oder Erleichterung. Bei den Bedürfnissen steht „grundsätzliches Wohlbefinden“ an erster Stelle. Wohlbefinden tritt dann ein, wenn weitere Bedürfnisse wie Nahrung, Gesundheit (Schmerzfreiheit), Wasser, Sozialkontakt oder Sicherheit (Angstfreiheit) befriedigt sind. Auch hier gibt es individuelle subjektive Wertigkeiten und Variationen.

 

Tatsache 2: Hundeverhalten und besonders ihr Ausdrucksverhalten ist gut erforscht. Ich kann es meinem Hund ansehen wie er sich grade fühlt. Und damit kann ich auch bestimmen ob eine Maßnahme, die ich im Training oder im Umgang mit dem Hund ergreife, bei ihm eine positive oder negative Stimmung auslöst und daraus schlussfolgern, ob Wohlbefinden vorhanden oder beeinträchtigt ist und wie lange dieser Zustand anhält.

Tatsache 3: Lernvorgänge (Lernbiologie) und die eigentlichen Prozesse im Gehirn sind ebenfalls gut erforscht. „Lernfähigkeit“ ist etwas, was sich die Evolution vor Millionen von Jahren ausgedacht und dann immer nur weiter verfeinert und variiert hat. Und hier treffen sich die vorherigen „Tatsachen“: zur Gedächtnisbildung benötigt man Emotionen - und am Hundeverhalten sehe ich, ob Lernen stattgefunden hat. Ohne Aktivierung des „internen Belohnungszentrums“ des Gehirns finden nur wenige Lernvorgänge statt. Aktiviert wird das Belohnungszentrum wenn ein Signal signalisiert: „das hier ist gut (positive Emotion) - so kannst du deinen Zustand optimal halten oder sogar noch verbessern - Bedürfnisse werden befriedigt = Wohlbefinden kann erreicht werden“. Forscher bezeichnen das Gehirn auch als „Vorhersage-Maschiene“. Zu erkennen was gut ist bzw. einem gut tut und Fehler in der Zukunft zu vermeiden, ist wichtig für das Überleben. Wenn das Gehirn nicht in einem gewissen Rahmen vorhersagen kann, was als Konsequenz von was passieren könnte, kann man schnell in böse Fallen stolpern. Genau das machen wir uns im Training zu nutze. Das Gehirn lernt von positiven wie negativen Erfahrungen gleichermaßen. Positiv und Negativ sind hier im Bezug auf „Erreichen von Wohlbefinden“ zu verstehen: was lohnt sich für mich (dann zeige ich das dazugehörige Verhalten häufiger) und was lohnt sich nicht für mich (das dazugehörige Verhalten wird seltener gezeigt). Wenn ich erreichen will, dass mein Hund ein bestimmtes Verhalten häufiger zeigt, muss ich im Training dafür sorgen, dass er dieses Verhalten in seinen Kanon für „damit kann ich mein Wohlbefinden verbessern“ aufnimmt. So kann ich mich auch an ein erwünschtes Alternativverhalten zum Schnappen heran arbeiten. Wenn der Hund lernt, dass er Wohlbefinden auch erreichen kann, wenn er vom bedrohlichen anderen Hund weg zu mir guckt und bei mir bleibt, habe ich seine Motivation und damit seine Willensäußerung verändert. Die Entscheidung, zu mir zu gucken, ist nicht das Resultat einer aktuellen „Gewaltanwendung“ sondern über das Training wurden Denkprozesse in seinem Gehirn verändert. Natürlich ist der Weg dahin bei einem über vorherige häufige Ereignisse gut trainierten Verhaltens“ langwierig und ich lebe auch zeitlebens mit dem Damoklesschwert einer spontanen Remission (Wiederaufflackern) – aber es ist machbar und über fortlaufendes Training kann ich erreichen, dass das Schwert eher zu einem „Damokles-Gemüsemesser“ wird.

 An dieser Stelle lässt sich auch die Frage unterbringen, ob Training und Umgang mit dem Hund auf der Grundlage ausschließlich positiver Verstärkung möglich ist. Die Antwort ist NEIN. Wenn ich mit meinem Hund in einem gekachelten Lernlabor leben würde, in dem alle Umweltfaktoren perfekt kontrollierbar sind, kann ich Gedächtnisbildung über ausschließlich positive Verstärkung erreichen. Aber auch hier wäre zumindest philosophisch zu diskutieren, ob nicht die Laborbedingungen negativ für den Hund wären ....

Im „realen Leben“ passieren im Training und Umgang mit dem Hund zwangsläufig auch negative Dinge („das Leben ist kein Ponyhof“). Dabei ist „negativ“ hier subjektiv aus der Sicht des Hundes zu verstehen. Eine erwartete Belohnung nicht zu bekommen ist negativ (es erzeugt Frustration). Im Training ergibt sich so ein Wechselbad der Gefühle für den Hund zwischen „das lohnt sich – ich mach weiter“ und „das lohnt sich nicht – ich muss mir was anderes einfallen lassen“. Der Trainer ist dabei für die richtige Dosis zuständig, um den Hund in die von ihm gewünschte Richtung zu bringen. Der Trainer muss darauf achten, dass als Summe aller Maßnahmen unterm Strich „Wohlbefinden“ rauskommt. Er muss z.B. die Stressbelastung des Hundes im Blick haben bzw. generell den Punkt „psychisches Leiden“ beachten. Über das Thema Schmerzen oder körperliche Schäden muss man eigentlich auch nicht diskutieren - da macht das Tierschutzgesetz Vorgaben. Diesen ganzen Bereich jetzt weiter auszuführen, würde auch den zur Verfügung stehenden Platz sprengen.

 Dass sich mein Hund im Alltag und im Training auch mit negativen Elementen auseinandersetzen muss, lässt sich in unserer Welt nicht vermeiden. Wir Menschen leben nicht in einer Welt in der jeder machen kann was er will und das gilt auch für unsere Haustiere. Es gibt in unserer Gesellschaft Regeln, Normen und Moralvorstellungen; und sich daran zu halten stellt im Großen und Ganzen sicher, dass jedes Individuum in Wohlbefinden leben kann. Haustiere leben mit Menschen und fallen somit auch unter gewisse Spielregeln. Da sind natürlich die Regeln für den Umgang mit ihnen, die im Tierschutzgesetz niedergelegt sind. Aber da sind auch noch andere Regeln, die wiederum Dritte schützen sollen. Beißen gehört zum Aggressionsverhalten und damit zum Normalverhalten von Hunden – trotzdem ist es in unserer Gesellschaft nicht gerne gesehen, wenn Hunde andere Hunde oder Menschen beißen. Hasen zu hetzen gehört zum Jagdverhalten und somit ebenfalls zum Normalverhalten von Hunden. Aber auch da hat unsere Gesellschaft andere Regeln, die z.B. Wildtiere schützen sollen. Irgendwie muss also ein Kompromiss gefunden werden, dass alle „glücklich“ werden. Wir müssen unseren Hunden Erziehung und Training angedeihen lassen, damit sie ein langes Leben in Wohlbefinden mit uns in unserer menschlichen Gesellschaft führen können. Training muss zielgerichtet, freundlich und konsequent erfolgen und als Ziel immer „win-win“ haben, denn die Alternative dazu wäre nur „lose-lose“. Ein „win-lose“ gibt es bei dem Spiel nicht.

Ursula Löckenhoff meint

Der Kaspar, der war kerngesund
Ein dicker Bub und kugelrund
Er hatte Backen rot und frisch
Die Suppe aß er hübsch bei Tisch.
Doch einmal fing er an zu schrein:
»Ich esse keine Suppe! Nein!
Ich esse meine Suppe nicht!
Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!«

(Heinrich Hoffmann, Suppenkasper)


Eine zwanglose Hundeerziehung ist sicher wünschenswert, aber nicht immer umsetzbar. Und: Ist Zwang immer negativ? Wäre der Suppenkasper „zu seinem Glück gezwungen“ worden, hätte er in dem Gedicht von Heinrich Hoffmann überlebt. – Auch unsere Hunde machen am liebsten das, wozu sie gerade Lust haben.

Ein Übermaß an Freiheit kann jedoch auch zur Überforderung und damit zu Stress führen. Setzt Du dem Hund Grenzen, nimmst Du ihm die Qual der Wahl und bietest stattdessen Orientierung für richtiges Verhalten.

Führst Du ihn an neue, ihm vielleicht sogar suspekte Dinge heran, erweiterst Du seinen Horizont. Eine liebevolle und verantwortungsbewusste Erziehung, schließt also Grenzsetzung und Zwänge nicht aus. Der Hund wird gefordert und gleichzeitig gefördert, lernt seine Möglichkeiten kennen und kann sich so sicher und souverän ins soziale Gefüge einbringen.

Herzliche Grüße,
Ursula Löckenhoff

Irene Sommerfeld-Stur meint

Die Diskussion um den Umgang mit dem Hund im Rahmen von Erziehung und Haltung ist leider  - wie bei so vielen strittigen Themen – eine extrem polarisierte, die den unwissenden Zuhörer oder Leser in dem Glauben lässt, dass es nur zwei und noch dazu extrem unterschiedliche Herangehensweisen an den zu erziehenden Hund gibt. Nur Nettsein auf der einen Seite und brutale Gewalt auf der anderen.   Und das ist schlichtweg falsch. Aus verschiedenen Gründen.

Der erste Grund liegt schon mal in der Definition dessen, was unter Zwang zu verstehen ist.  Denn dieser Begriff kann alles Mögliche bedeuten.  Allein die Tatsache, dass ich einen Hund in mein Leben integriere ist schon Zwang, denn  der Hund kann sich das nicht aussuchen.  Und Zwang in diesem Sinn zieht sich durch den gesamten Alltag.

Also, was ist dann Zwang in der gegenständlichen Diskussion?  Und was genau ist im Gegensatz dazu zwanglose Erziehung. Diese Wortkombination ist ja genau genommen schon eine „contradictio in se“, denn in der Erziehung geht es doch immer darum, dem zu Erziehenden Regeln für das  gemeinsame Leben klar zu machen.  Egal, in welcher Form ich einen Hund daran hindere z.B. einem Hasen nachzujagen, ich übe immer einen Zwang auf ihn aus.  Und zwischen dem simplen Zwang mit einem bestimmten Menschen zusammen leben zu müssen, bis zu Zwang in Form von brutalen, psychisch oder physisch schmerzhaften  Methoden liegt eine breite Variation an unterschiedlichsten Möglichkeiten einem Hund  mitzuteilen, was man von ihm will und was man von ihm nicht will.

Der zweite Grund, warum ich das generelle Postulat nach zwangloser Erziehung für falsch halte: Es berücksichtigt nicht, dass Hunde  Individuen sind, die auf Grund sehr komplexer und unterschiedlicher genetischer Grundlagen sowie ebenso komplexen und unterschiedlichen Umwelteinflüssen und Erfahrungen  eben auch sehr unterschiedlich auf unterschiedliche Situationen reagieren.  Ein für alle Hunde gültiges Patenrezept zur Erziehung  zu erwarten ist  schlicht und einfach unrealistisch. Hunde sind Persönlichkeiten und während der eine Hund bereits einen Nervenzusammenbruch bekommt, wenn man ihn lauter als sonst anredet, zeigt einem ein anderer Hund noch die Mittelkralle, wenn man ihn anbrüllt.  Es ist m.E. das Kennzeichen guter Trainer bzw. guter Hundehalter diese Unterschiede bei der Arbeit mit dem jeweiligen Hund zu erkennen und auch zu berücksichtigen.

Die Vorstellung, einen Hund völlig ohne Zwang – Zwang jetzt mal verstanden als physische oder psychische Beschränkung seines Willens – zu erziehen, mag realistisch sein. Das kann ich nicht wirklich beurteilen, ich habe nur die Erfahrungen eines ganz normalen Hundehalters mit bisher nur neun Hunden.  Neun sehr unterschiedlichen Hunden, keiner davon in irgend einer Form besonders problematisch. Ich vermute aber, dass es mit „nur  Nettsein“ auf jeden Fall weitaus länger dauert, bis man einen Hund hat, mit dem man ohne Probleme zusammenleben kann. Mein Ding war deshalb eine „nur positive“ Erziehung niemals. Mir war immer wichtig, den Hunden möglichst schnell die Hausregeln klar zu machen.  Und dazu habe ich, je nach dem Charakter der jeweiligen Hundes, mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger nachdrücklich Grenzen klarmachen müssen. Bitte jetzt nicht falsch verstehen – ich bin niemand, der seine Hunde prügelt oder mit Brüllen oder mit ständigen Leinenrucken oder was es sonst an Unfreundlichkeiten einem Hund gegenüber gibt,  malträtiert.  Das war bei meinen  Hunden auch niemals notwendig. Für mich ist das wichtigste Instrument der Begrenzung ein verbales „Nein“  oder „Aus“ das ich je nach Anlass in unterschiedlicher Lautstärke bzw. Tonfall  von mir gebe.  Das haben alle meine Hunde in kürzester Zeit  verstanden.   Meine beiden jetzigen Hunde haben das sogar als „Wortschatz“ bereits mitgebracht – ich bin beiden Züchterinnen dafür zutiefst dankbar.

Über meine eigenen Erfahrungen hinaus kann ich aus fachlicher Sicht zu dem Thema nicht allzu viel sagen. Was mir allerdings mein gesunder Menschenverstand sagt ist, dass man sich vielleicht auch mal überlegen sollte, ob nicht die zunehmende allgemeine Hundefeindlichkeit auch etwas damit zu tun hat, dass immer mehr unerzogene, rüpelnde Hunde unterwegs sind, denen, auf Grund der allgemeinen Kuschelverordnung niemand jemals Grenzen gesetzt hat.

Und wie ich schon geschrieben habe, und was mir besonders wichtig erscheint - in welcher Form und in welcher Intensität ein Hund Grenzen versteht und akzeptiert, ist eine Frage der individuellen Hundepersönlichkeit und kann keinesfalls verallgemeinert werden.

Anita Balser schreibt

Das ist die falsche Frage meiner Ansicht nach. Denn was alle Hundehalter eint ist der Wunsch, dem Hund zu geben, was ER braucht, um ein glückliches Hundeleben führen zu können. Die richtige Frage ist aus welcher Sichtweise wir betrachten wollen, was der Hund von uns braucht. Und ob wir bereit sind ihm das zu geben.

Schließlich wollen wir ja ganz viel von ihm: Locker an der Leine laufen soll er, auch wenn das überhaupt nicht seinem Grundtempo entspricht. Andere Hunde sollen ihm egal sein, obwohl er über ein hochentwickeltes Kommunikationsrepertoire verfügt. Jagen darf er nicht, auch wenn das seinen natürlichen Anlagenentspricht und manchmal sogar züchterisch selektiert wurde. Und gehorsam soll er auch noch sein, uns im Notfall beschützen und sich trotzdem von jedem anfassen lassen.

Ganz schön viel Unhündisches, was wir da verlangen. Hunde können das leisten, weil sie die anpassungsfähigsten Raubtiere sind, die mir bekannt sind. Sie lassen sich vom Menschen FÜHREN.

Nur muss er das dann auch! F-ü-h-r-e-n! Und wir sind es ausFairnessgründen unseren Hunden schuldig, so zu führen dass der Hund eine Chance hat mich zu verstehen. Das wiederum gelingt, wenn wir uns im Umgang mit dem Hund an seinem natürlichen Führungsverhalten orientieren. Und das hat eben ganz viel mit Grenzen setzen, „Lass das“-Kommunizieren und Einschränkungen zu tun. Grenzen, Lass das und Bewegungseinschränkung sind Vokabeln in der Hundesprache, die übersetzt folgendes heißen: DU bist Teil MEINER Gruppe, mir kannst Du vertrauen, ich werde Dich schützen und Entscheidungen immer zu Deinem Wohl treffen!

Erst wenn diese Eingrenzungen vollumfänglich vom Gegenüber akzeptiert werden, lassen die führenden Hunde Nähe zu, es entsteht freies soziales Spiel bei dem sie das Selbstbewusstsein des Geführten stärken und es wird ZWANGLOS herumgealbert.

„Zwanglose Hundeerziehung“ ist sehr wohl umsetzbar, nur NICHT zum Wohle des Hundes, weil völlig gegen seine Natur. Und somit auf keinen Fall wünschenswert!

Maria Hense schreibt

Die Frage, was vom Fragesteller mit dem vieldeutigen Begriff "Zwang" gemeint ist, möchte ich nicht diskutieren.

Wenn Hunde nicht auf der Strasse leben, sondern in Häusern und in gemischten Hund-Mensch-Gruppen, müssen sie sich anpassen. Da sie diese Anpassung nicht selbstständig tun, setzen wir erzieherische Mittel ein. Diese beruhem auf dem Aufbau von Alternativen und dem gezielten Einsatz von Frustration (negative Strafe). Sie müssen dem Leistungsstand der Hunde entsprechen und nach allen Regeln der Kunst angewendet werden. Dann werden solche Maßnahmen minimal sein. Trotzdem bedeuten sie "Zwang" (Beispiel: Das Führen an der Leine).

Härtere Massnahmen, die Leid (kurze Definition: Schmerzen, Angst oder übermäßige Frustration von Bedürfnissen) hervorrufen, sind nicht erlaubt. Das verbietet uns das Tierschutzgesetz: wir dürfen keine Maßnahmen anwenden, die Leid hervorrufen - wenn es andere effektive Maßnahmen gibt. Das es "softere" effektive Maßnahmen gibt, die erfolgreich und in vielen Fällen erfolgreicher sind, wird weltweit seit vielen Jahren bewiesen.

Wenn behauptet wird, "softere" Maßnahmen funktionieren nicht, dann zeigt das Unwissen.

Frank Wieborg meint

Ich möchte mit meiner Definition von Gewalt und Zwang beginnen.

Zwang: Zwang bedeutet, dass ein Individuum von einem anderen gegen seinen Willen mittels Gewalt oder der Androhung von Gewalt zu einer Tätigkeit gebracht oder von einer Tätigkeit abgehalten wird.

Gewalt: Beschreibt den Vorgang, wenn ein Individuum auf ein anderes schädigend einwirkt und/oder ihm erhebliche Schmerzen zufügt.

Im deutschen Tierschutzgesetz steht §3 Abs. 5.:
„Es ist verboten ein Tier auszubilden oder zu trainieren, sofern damit erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind.“

Meiner Auffassung nach sind diese Begriffe sehr harte und negativ belastete Worte.
Klar ist, ich brauche einem Hund keine Schmerzen zuzufügen, um ihm Sitz und Platz beizubringen und auch nicht um ihn durch einen Agility Parcours zu schicken. Auch Zwangsapport, Alphawurf, Stachelhalsband und Würgekette haben im Hundetraining nichts verloren.

Jedoch ist das Leben mit einem Hund wie ich es führe weitaus mehr als nur Training. Es geht auch um Erziehung und Beziehung. Eine funktionierende Beziehung sollte klar definierte Grenzen beinhalten. Mein Hund sollte wissen, dass es nicht okay ist mir mein Marmeladenbrot vom Frühstückstisch zu klauen, während ich mich umdrehe, um mir eine Tasse Kaffee einzuschenken. Auch wenn es aus seiner Sicht sehr logisch erscheinen mag unbewachtes Futter als sein Eigentum zu betrachten. Ich werde ihm zu verstehen geben, dass dieses Verhalten nicht erwünscht ist….und zwar so, dass er es auch verstehen kann. Das sieht dann bei einem jungen Labrador unter Umständen anders aus als bei einem unsicheren rumänischen Hund aus dem Tierschutz.

Im Grunde geht es doch um Kommunikation. Das 4. Axiom der Menschlichen Kommunikation von Watzlawick besagt: Menschliche Kommunikation bedient sich analoger und digitaler Modalitäten.

In meinen einfachen Worten übersetzt: Wenn wir kommunizieren, beinhaltet die Nachricht, die wir senden nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch Signale aus verschiedenen Kanälen wie z.B. Körpersprache, Mimik, Tonlage usw.
Unser Hund versteht die digitale menschliche Kommunikation leider nicht, daher ist die analoge umso wichtiger.

Bleiben wir beim Beispiel des geraubten Marmeladenbrotes. Hier würde ich bei einem jungen Labrador nicht von Gewalt und Zwang sprechen, wenn ich ihn bei der Flucht mit der Beute im Fell festhalte, ihm das Diebesgut aus dem Maul heraushole und dann zukünftig dafür Sorge, dass er zwei Meter neben dem Frühstückstisch auf seiner Decke liegen muss. Bei dem unsicheren rumänischen Hund aus dem Tierschutz könnte die gleiche Handlung jedoch schon Gewalt und Zwang darstellen.

Mein Fazit ist:
In der Welt in der wir leben, können wir die Hunde nicht einfach das tun lassen was sie für richtig halten. Alleine die Gesetze zwingen uns sie an der Leine zu führen und sie sehr stark in ihrer Freiheit einzuschränken. Es ist unsere Aufgabe unsere Hunde so zu halten, dass sie möglichst viele Freiheiten haben können, ohne eine Gefahr darzustellen. Dazu gehört sie zu erziehen, ihnen Grenzen zu setzen, die sie verstehen und akzeptieren und mit ihnen so zu kommunizieren, dass sie es auch verstehen können.

Vanessa Engelstädter hat geantwortet

Es ist wie der Schornstein eines Hauses, über den lange und in jedem Detail diskutiert wird, obwohl man eigentlich über das große Ganze (Haus) sprechen möchte. Gemüter können sich daran erhitzen, die Gräben in der Hundeszene vertiefen sich weiter… ich würde sogar sagen, es sind die letzten 2 cm des Schornsteins eines Hauses, die für diese Aufregung sorgen können. Dabei ist das Hause viel größer und hat ein viel wichtigeres, tragendes Fundament. Dieses Fundament heißt Bindung und Beziehung. Es wird erstellt aus: der Annahme der Persönlichkeit des Hundes, der Wahrnehmung des Hundes einen Ansprechpartner im Konflikt zu haben und klar formulierten Rahmenbedingungen, die das Zusammenleben erleichtern. Der Mensch, als wohlwollender, aber auch ernstzunehmender Anleitender, steht dabei im Mittelpunkt. Ein stabiles Fundament kann viel tragen und ertragen, denn das Leben hält einige Widrigkeiten, Konflikte und Zwänge bereit.

 

Fragen, die man sich als Hundehalter selber stellen kann: Wie gehe ich mit Stress und Konflikten um? Sind die Rahmenbedingungen des Zusammenlebens bereits in meinem Kopf formuliert, so dass ich entsprechend danach handle?  Und in Hinsicht auf die „Methode“ (zwang- oder zwanglos), die verwendet wird:

 

è Mit welcher Motivation und inneren Haltung beantworte ich ein Verhalten meines Hundes?

 

Nehme ich das Verhalten persönlich? Ärgere ich mich, bin wütend, sauer, traurig, resigniert, nachtragend? Habe ich eine Erwartungshaltung an die Persönlichkeit des Hundes, die nicht passt? Oder habe ich mir das Zusammenleben ganz anders vorgestellt und bin frustriert…all das ist menschlich und nicht verwerflich. Es gilt nur zu erkennen, was mich antreibt. Wird hier jetzt mit „Zwang“ gearbeitet, sind emotionale Entgleisungen und ein unfaires Beantworten eines Verhaltens nicht weit entfernt. Das Fundament kann bröckeln, die weiteren Stockwerke sind nicht stabil.

 

Oder gebe ich meinem Hund keine Antworten auf sein Verhalten, ich vermeide jeglichen Konflikt? Wichtige Lernprozesse, die zur psychischen Stabilität führen, finden so gegebenenfalls nicht statt. Der Hund lernt keinen Umgang mit Stress, Konflikten und Zwängen.  

 

Bin ich gelassen, habe die Persönlichkeit meines Hundes angenommen und setze mich bei den Rahmenbedingungen durch, kann „Zwang“ sogar sinnvoll sein. Er kann einen sicheren Rahmen aufzeigen, die Frustrationstoleranz erhöhen und eine Orientierung bieten. Lohnt sich dann noch die Zusammenarbeit mit mir, obwohl der Hund gerade eine andere Meinung hatte, ist es ein sehr sinnvoller Lerneffekt zugunsten des stabilen Fundaments.

 

Das Wort „Zwang“ beinhaltet wie alles im Umgang mit sozialen Lebewesen viel Individualität. In welchem (Abhängigkeits-)Verhältnis stehe ich zu der Person, die Zwang ausübt? Lehrer – Schüler, Arbeitsgeber – Arbeitnehmer, Mutter – Kind oder Mensch – Hund (Abhängigkeit und Fürsorge!). Mit welcher Motivation (inneren Haltung) übt die Person Zwang aus? Ein Ziel verfolgend, welches dem anderen Lebewesen im Leben weiterhilft oder das Zusammenleben erleichtert ODER aus Wut, Frust und Egoismus? Und dann kommt noch mein Lieblingsthema der RESILIENZ dazu: Wie bin ich emotional und psychisch aufgestellt, um mit Zwängen umzugehen?

 

Wir alle sind tagtäglich Zwängen ausgesetzt. Es ist schön, wenn wir einen Umgang damit gefunden haben und unser „Haus“ auf einem stabilen Fundament gebaut ist. Wenn wir unseren Wert kennen, stabil genug sind Konflikten entgegenzutreten und wissend um Menschen sind, die uns notfalls auffangen können. Der Hund ist uns da in vielerlei Hinsicht ähnlich…

Susanne Last meint

Das kommt ganz darauf an, was man unter „zwanglos“ und „Erziehung“ versteht und welches Ziel man damit verfolgt.

Das Wort „zwanglos“ ist wissenschaftlich nicht definiert, gemeint ist damit vermutlich das umgangssprachliche Wort der Gewaltfreiheit. Die Erziehung von Menschen zielt nach wissenschaftlichen Definitionen darauf ab, die Entwicklung einer Person, in der Regel das Kind zu fördern, seinen Geist und Charakter zu bilden, Lernprozesse bewusst und absichtlich herbeizuführen, um dauerhafte Veränderungen des Verhaltens gemäß dem Erziehungsziel zu erreichen.

Diese Veränderungen dienen dazu, dem Kind, dem Zögling Wertorientierungen und erwünschte Kompetenzen zu geben, die es in seiner sozialen Gesellschaft zu eigenständigem Handeln befähigen, seine, Selbständigkeit, das Verantwortungsgefühl und sein Selbstvertrauen fördern. Auf den Hund übertragen ist es die Frage, wie viel Selbständigkeit wir unserem eigenen Hund zugestehen wollen bzw. können. Der Hund lebt in einer lebenslangen Abhängigkeit, ihn zu formen unterliegt der Entscheidung, ob ich das in die Richtung tue, die ich als Mensch haben möchte, was nicht immer zum Vorteil des Hundes ist oder das erfülle, was der Hund von seiner biologischen Familie erwarten würde: Integration und soziale Anerkennung unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit und Grundkompetenz.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ich als Hundehalter erkennen muss, welches die hündischen Bedürfnisse sind und mich selber zurücknehmen muss, meine eigenen Bedürfnisse nicht auf Kosten des Hundes auszuleben, das wäre Machtmissbrauch, denn im Gegensatz zu uns hat der Hund keine Wahl.

Schaut man sich Hunde im sozialen Miteinander an, dann sieht man einige Verhaltensweisen, vor allem von erwachsenen älteren Tieren gegenüber jüngeren, die man als erzieherische Maßnahmen bezeichnen könnte. Die älteren, biologisch normalerweise mit den jüngeren verwandten Tieren, tun gut daran, diesen zu „erklären“, wie die Gruppe funktioniert, schließlich geht es darum, die eigenen Gene weiterzugeben und das klappt in der Evolution am Besten, in dem der eigene Nachwuchs (oder solche Artgenossen, mit denen ich einen Großteil meiner Gene teile) möglichst lange überlebt.

Das wiederum ist abhängig davon, wie angepasst das Verhalten an die (soziale) Umgebung ist. Mein Fazit ist: Erziehung ist eine soziale Interaktion mit dem Ziel, das Lebewesen in seiner Überlebenskompetenz zu fördern und in die soziale Gemeinschaft zu integrieren. Dies ist immer verbunden mit Grenzen, die gesetzt werden, was in der Empfindung und per Definition durchaus eine „Strafe“ sein kann.

Das Vorenthalten von einem Leckerchen ist nach den Lerntheorien auch schon eine negative Strafe. Wo Gewalt beginnt und endet liegt sehr subjektiv im Auge des Betrachters und desjenigen, dem Gewalt angetan wird. Was man im Tierreich aber immer wieder sieht und leider von Menschen oft genug nicht erkannt und selber umgesetzt wird ist:

Folgt eine erzieherische Maßnahme, vielleicht auch eine körperliche Maßregelung, besteht für den Zögling zu keinem Zeitpunkt der Zweifel daran, dass das Elterntier ihm seine uneingeschränkte Liebe zuteil werden lässt und auch weiterhin seine Bedürfnisse bedingungslos erfüllen wird. Es kommt nicht zu einem Vertrauensbruch und nach der Maßregelung erfolgt in der Regel prosoziales Verhalten.

Auch fällt auf, dass die Maßregelungen zwar sehr heftig ausfallen können, aber in der Regel einigermaßen emotionslos erfolgen. Wut oder Zorn ist nicht sichtbar – ganz im Gegensatz zu so manch maßregelnden Eltern oder Hundebesitzern, die ihren Frust an den ihn anvertrauten Schutzbefohlenen auslassen.. Und das hat mit Sicherheit Einfluss auf die Bindungsqualität.

Wir sollten den Hund nicht enthundlichen, weil wir seine Bedürfnisse ignorieren und unsere ausleben.

„Ein Hund ist immer
das Spiegelbild seines Menschen.“

© Oliver Jobes, Erziehungs- und Verhaltensberater